greenpeace magazin
04/09

Massentierhaltung

Kleingruppenhaltung, Landwirtschaft, Vegetarier

Von Geld und Gülle

Die Tiermäster im Oldenburger Münsterland versorgen ganz Deutschland mit Eiern, Hähnchen und Schweinefleisch. Carsten Jasner hat sich den florierenden Landstrich aus der Nähe angesehen.

Das Leben ist hier ungefährlich, sofern man Mensch ist. Die abscheulichsten Straftaten, die die Polizei binnen mehrerer Monate notierte: An einem Wegekreuz entwenden Unbekannte eine Rastbank. In der Diskothek „Beat Club" wird einem jungen Mann die Klotür ins Gesicht gerammt. In Goldenstedt fehlt plötzlich die Gelenkwelle eines Güllefassanhängers.

Nur an wenigen Orten in Deutschland werden so wenige Verbrechen verübt. Nirgendwo werden so viele Tiere gemästet und geschlachtet. Das eine hängt mit dem anderen zusammen, sagt die Polizei. Die „Tierveredelung" beschert den Menschen in den Landkreisen Vechta und Cloppenburg, Oldenburger Münsterland genannt, Frieden und Wohlstand.

Die Gegend ist flach und gepflegt: akkurat gepflasterte Dorfstraßen, saubere Fassaden. Die Felder nicht zu groß, gesäumt von Hainen, Sträuchern und Eichen. Dahinter stehen halb versteckt die Wahrzeichen der Region: langgezogene Baracken mit kleinen Fenstern und Kaminen. 39 Millionen Masthähnchen, Legehennen, Puten und Schweine leben darin. Jeder der 300.000 Einheimischen könnte 130 gefiederte und berüsselte Wesen um sich scharen; im bundesweiten Mittel kommen auf einen Bürger zwei sogenannte Nutztiere. Doch kaum jemand darf zu ihnen, selbst der Tierarzt nur im Notfall - groß ist die Angst vor Vogelgrippe und Schweinepest.

Die Menschen hier gelten als bodenständig.

Die Heimat, die sie lieben, bewundern Ökonomen als Standort eines endlosen Wirtschaftswunders. Umweltaktivisten dagegen sprechen von der Jauchegrube der Nation oder dem Guantanamo für Tiere.

Ein Lächeln gleitet über sein rosig-rundes Gesicht: „Ich habe eine Beziehung zu den Tieren", sagt Norbert Meyer. Er besitzt 3000 Schweine. Seine Frau Birgit sagt: „Man muss die Tiere mögen, egal wie viele es sind." Meyer vertritt die Landwirte von Vechta und vielleicht bald auch die FDP im Europaparlament. Vor ihrem 400 Jahre alten Backsteinhaus blühen Flieder, Rhododendron und Magnolienbäume. Norbert Meyer bewirtschaftet den Hof in fünfter Generation, im Haus wohnen auch seine Mutter und die erwachsenen Söhne, beide wollen Landwirtschaft studieren. Alles scheint geregelt.

Der größte der drei Ställe ist knapp hundert Meter lang. In Abteilen zu je zwei Dutzend trotten, rempeln, hüpfen die Tiere übereinander hinweg. Jedem steht ein dreiviertel Quadratmeter zu. Bevor sie ihr Schlachtgewicht von 110 Kilogramm erreichen, haben sie etwas mehr Platz. Ihre Schwänze wurden abgehackt, damit sie sie nicht gegenseitig blutig knabbern. Die Schweine laufen und schlafen auf geschlitzten Betonplatten, durch sie in eine Grube koten und urinieren. „Das ist hygienischer als Stroh", sagt Meyer.

Den Tieren fehle nichts. „Sie kennen nichts anderes, sie sind gut daran gewöhnt." Zu viel Platz sei eher nachteilig - sie könnten beim Rennen ausrutschen und sich verletzen. Zu ihrer Beschäftigung hingen massive Beißkugeln aus Plastik an Stahlketten. Kühlende Schlammbäder im Freien würden die Tiere nicht vermissen, weil Ventilatoren die Temperatur im Stall regeln. Der Wühltrieb melde sich nicht, weil er der Suche nach eiweißhaltiger Nahrung diene, die die Tiere bei ihm im Fertigfutter fänden. Meyers Frau sagt: „Ich glaube, sie fühlen sich wohl."

2,1

Prozent der Deutschen sind heute in der Landwirtschaft tätig. Im Jahr 1900 waren es 38,2 Prozent.

 

 

Das Ikea für Bauern liegt elf Kilometer weiter in Calveslage: Big Dutchman, größter Stalleinrichter der Welt. Im Showroom stehen Abferkelgitter, die die Sau während der Geburt und in den Tagen danach fixieren, damit sie nicht ihren Nachwuchs zerquetscht. Passend dazu die Neuentwicklung „SowComfort", eine strapazierfähige Gummimatte, die der Sau im Gestänge und den Kleinen am Gesäuge „höchste Trittsicherheit" vermitteln soll. Wärme bekommen die Neugeborenen über austauschbare Bodenplattenmodule mit integrierter Bodenheizung in den Varianten Kunststoff oder Beton.

Geflügelhalter interessieren sich mehr für die ausgestellten Nippel- und Rundtränken, für Käfige und Volieren. „Am liebsten", sagt Andreas Böske, Leiter der Werbeabteilung, „verkaufen wir das Equipment für die Freiland- oder Bodenhaltung", da seien die Gewinne höher. Der Verkaufsschlager sei jedoch seit Jahrzehnten „die klassische Legebatterie" mit fünf bis sechs Tieren pro Abteil, die auf je 450 Quadratzentimetern Drahtgitter hocken, was etwa der Größe eines DIN-A4-Blatts entspricht. In Deutschland ist dieses Modell seit Anfang des Jahres verboten. Im Ausland ist der Absatz ungebrochen. Seit der Erfindung der Kotbandbelüftung 1983 ist es möglich, einigermaßen seuchenfrei zwölf Käfigreihen übereinander zu stapeln, was vor allem die Japaner tun.

133.000.000

Tonnen C02-Emissionen verursacht der Agrarsektor in Deutschland pro Jahr - beinahe so viel wie der Straßenverkehr. Grund ist der hohe Fleisch- und Milchkonsum, so „foodwatch".

 

Eine halbe Milliarde Euro Umsatz macht das Familienunternehmen. Verwaltungsgebäude und hochmoderne Logistikhallen gruppieren sich um das Fachwerk-Geburtshaus des Seniors. Im Oldenburger Münsterland sind etliche global agierende Betriebe entstanden, die einmal Dorfschmieden oder Eierläden waren. Häufig noch heute von Familien geführt: Futtermischwerke, Landmaschinenbauer, Konstrukteure für Biogasanlagen, Schlachthöfe, Verpackungsindustrie - eine Wertschöpfungskette rund um das Tier. Die PHW-Gruppe des Paul-Heinz Wesjohann in Rechterfeld, bekannt unter der Marke Wiesenhof, ist Europas größter Geflügelproduzent. Weda in Lutten: Weltmarktführer für Flüssigfütterungsanlagen. Die Deutsche Frühstücksei in NeukirchenVörden, Nachfolger des wegen Tierquälerei verurteilten Anton Pohlmann, produziert und verarbeitet die meisten Eier in Europa. Heidemark in Ahlhorn - kaum ein Betrieb zerlegt und verpackt mehr Puten.

Im „Silicon Valley der Agrarindustrie" wuchs die Wirtschaft allein in den vergangenen zehn Jahren dreimal so schnell wie im gesamten Land. Die Arbeitslosenquote schwankt um fünf Prozent. Als Ursachen für den seit 50 Jahren währenden Boom nennt das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung: In einer protestantischen Umgebung hätten die hiesigen Katholiken immer zusammengehalten. Und „in der Not gelernt, aus wenig viel zu machen".

Die ursprünglichen Hochmoore und Heidesandböden brachten kaum Ertrag. Mit dem Bau der Eisenbahn entdeckten die Bauern um 1900 die Hühnerhaltung und Schweinezucht auf engem Raum. Aus den Häfen Brake und Bremerhaven rollte Futter heran, Fleisch und Eier ratterten zu den Märkten an Rhein und Ruhr. Nach dem Zweiten Weltkrieg brachen von Dampfmaschinen gezogene Pflüge die Scholle zwei Meter tief auf - auf den neu gewonnenen Äckern säten die Bauern ein Teil des Futters nun selbst. Der Anschluss an den Rest der Welt durch die Bundesautobahn i und die sogenannte Fresswelle der 50er- und 60er-Jahre sorgten für eine Verzigfachung der Nutztierbestände. „Die Leute hier verstehen ihr Geschäft", sagt Jürgen Marquart, pensionierter Lehrer, aktiv beim Bund für Umwelt und Naturschutz in Vechta. „Aber auf Kosten der Umwelt."

Jahrzehntelang kippten die Bauern die gesamte Gülle auf ihre kleinen Felder. Der Mais hielt das aus. Doch im Grundwasser stieg der Nitratgehalt auf das Fünffache der erlaubten Werte. Ende der 80er-Jahre sah sich der Oldenburgisch-Ostfriesische Wasserverband (OOWV) gezwungen, rund um die Trinkwasserbrunnen für 40 Millionen Euro Ackerland aufzukaufen, um es vom Land Niedersachsen für weitere 40 Millionen aufforsten zu lassen. Bauern werden seither vertraglich verpflichtet, schonend und nur zu bestimmten Jahreszeiten zu düngen und Stickstoff bindende Zwischenfrüchte wie Sonnenblumen anzubauen.

Ober 600.000 Kubikmeter überschüssigen Dünger pro Jahr karren „Güllebomber" nun rund i00 Kilometer weit ins Umland. Edelhard Brinkmann, Geschäftsführer des Transportunternehmens Güllebank Weser-Ems, sagt, es müsste viel mehr exportiert werden. Weil niemand die Betriebe ordentlich kontrolliere, kippten sie mehr als erlaubt auf die eigenen Felder. So sparten sie Kosten. Die Spediteure werden von den abgebenden und den empfangenden Bauern bezahlt. Letztere freuen sich über die schwappende Fracht, seit die Preise für Kunstdünger steigen und sie die Fäkalien durch Schleppschläuche gezielt auftragen können. Dank dieser Technik stinkt es auch nicht mehr so bestialisch.


Futter- und Güllelaster sind allgegenwärtig.

 


Familie Meyer besitzt 3000 Schweine - und einen Hund.

„Man muss die Tiere
mögen, egal wie viele es sind."

Norbert Meyer, Schweinezüchter

So wird aus Gülle Geld - um so mehr, seit sie sich gewinnbringend in Strom verwandeln lässt. Biogasanlangen sind das jüngste Glied in der agrartechnologischen Wertschöpfungskette. Drei große Hersteller haben sich hier angesiedelt und allein das Oldenburger Münsterland mit 100 Fermentern bestückt. Bauer Willi Peters in Friesoythe hat sich von Envitec mit einer 500-Kilowatt-Anlage versorgen lassen.

Peters verfügt über 200 Hektar - für diese Gegend außergewöhnlich viel. Darauf werde er nie wieder Futter anbauen, sagt er, solange die Anlage läuft. Den produzierten Strom speist er ins Netz, mit der Abwärme beheizt er seine Schweineställe sowie elf benachbarte Haushalte. In den Fermenter pladdert zu 35 Prozent Gülle, den Rest holt sich eine Transportspirale aus einem Haufen gehäckseltem Mais. Die Pflanze fürs Kraftwerk baut Peters selber an. Die Kost für seine Tiere kauft er beim Futtermischer. Und der bezieht sie aus der ganzen Welt - Gerste aus der Ukraine, Soja aus Brasilien.

„Für eine bäuerliche Kreislaufwirtschaft gibt es hier kein Bewusstsein", sagt KarlHeinz Hanken, Biolandwirt seit 1982. Er stellte den acht Hektar messenden Hof seiner Eltern um. Rund 20 Betriebe sind bis heute seinem Beispiel gefolgt - von insgesamt 4000 in den Landkreisen Cloppenburg und Vechta. Im ehemaligen Tabaktrockenturm isst Hanken sein Abendbrot mit Biokäse aus seinem Hofladen. Er trägt eine schwarze Designerbrille in einem kantigen Gesicht. Hanken hat Sozialwissenschaften studiert.

Einen Steinwurf entfernt baut einer der größten Gemüsebauern Brokkoli an. „Der sieht schön dunkelgrün aus", sagt Hanken. Aber er sei kaum verwurzelt, er könne den Kohl mit dem kleinen Finger herausziehen. „Die Pflanze bekommt ihre Nährstoffe von oben", sagt er. „Die intensive Landwirtschaft hängt am Tropf."

Die Schwänze seiner 60 Mastschweine ringeln sich in voller Länge. Die Tiere wühlen im Stroh, halb drinnen, halb unter freiem Himmel. Drei Quadratmeter stehen jedem zu. Besucher sollen sie streicheln, damit sie Bekanntschaft mit fremden Mikroorganismen machen. Leiden Tiere in der intensiven Haltung? „Ich weiß es nicht", sagt Hanken. „Aber ich weiß, dass sie sich bei mir wohler fühlen."

In den 70er-Jahren hat er mit Genossen im Agrarkollektiv einen Film für den Westdeutschen Rundfunk gedreht: „Die Bauern und die Agrarindustrie." In Hankens Lieblingsszene fährt die Kamera durch eine endlos lange Baracke voller gerupfter Hühner in Legebatterien. Dazu spricht Anton Pohlmann den Satz: „Egal, ob Sie 500 oder fünf Millionen Hühner haben - man muss nur tierlieb sein."

„Die intensive Landwirtschaft hängt am Tropf."

Biobauer Karl-Heinz Hanken

„Gegenseitige Wertschätzung, Vertrauen zueinander und Verbundenheit mit der Region" kennzeichneten die Menschen im Oldenburger Münsterland, urteilt das Berlin-Institut in seiner Studie. Vom Kind bis zum Greis sind so ziemlich alle im Verein aktiv, jede fünfte Familie versammelt drei Generationen unter einem Dach, nirgendwo werden mehr Kinder geboren als in Cloppenburg: 1,74 pro Frau. Auch die Frauen von Vechta liegen mit 1,57 Kindern weit über dem deutschen Durchschnitt von 1,37.

Kinderglück, Geselligkeit und unternehmerisches Geschick, Familie, Fleiß und Heimatliebe - Werte, nach denen bundesweit gefahndet wird: Hier werden sie gelebt. Doch zu welchem Preis? „Wir liefern den Billigfraß, den die Bevölkerung fordert", sagt ein hiesiger Berufsschullehrer. Doch auch er weiß, dass sich das Rad der Agro Intensivierung nicht beliebig weit drehen lässt. Der Wettbewerb um das billigste Ei, das dickste Brustfilet, die meisten Schnitzel ist mörderisch.

Weil der Platz im eigenen Land nicht mehr reicht, errichten dänische und holländische Investoren in Mecklenburg-Vorpommern Anlagen für über 60.000 Schweine und Hunderttausende Hühner. In Vechta und Cloppenburg werden dagegen die meisten Schweine in Familienbetrieben versorgt, rund 1300 pro Hof. Doch immer mehr Landwirte verlieren ihre Selbständigkeit. Vor allem Geflügelhalter verdingen sich den großen hiesigen Unternehmen, die nicht in Generationen, sondern an den maximalen Profit denken. Auch das Verbot konventioneller Kleinkäfige, Tribut an den Tierschutz, drängt einige kapitalarme Landwirte zur Aufgabe. Bauern wie Johannes Wilking indes haben beschlossen, sich der „neuen Herausforderung" zu stellen.

Hunderte milchkaffeebraune Hennen drängen Wilking seit einigen Monaten entgegen, wenn er den Stall betritt. „Würde ich hier stehenbleiben", sagt er, „täten die hinteren Hennen die vorderen bald erdrücken". Er hatte Angst, ob es klappen würde. Ob die Hühner zur Nachtruhe auf die Stangen flatterten. Ob sie genügend Eier legten. Er hat festgestellt: „Ich streichel die jetzt öfter. Und die Hühner scharren, die fühlen sich wohler. Darauf habe ich früher nicht geachtet."

Vier Kinder zwischen vier und elf Jahren toben zwischen den Ställen, in denen bis vor kurzem 70.000 Hennen in Legebatterien kauerten. Die Umstellung, teils auf Bodenhaltung, teils auf sogenannte Kleingruppen, koste ihn anderthalb Millionen Euro, sagt Wilking. Er habe mit seiner Frau ernsthaft diskutiert, „den Schlüssel umzudrehen und auf Arbeit zu gehen". Stattdessen steht er jetzt „mit den Hühnern auf, gegen fünf". Früher hätte er den ganzen Tag im Bett bleiben können - die Legebatterie funktionierte auch ohne ihn.

Sein Vater hilft. Er kennt die Bodenhaltung. Er war einer der Moorbauern, die in den 50er-Jahren begannen, sich massenhaft Tiere zuzulegen, die den Boom in Vechta und Cloppenburg in Gang setzten. „Mein Vater versteht das Käfigverbot nicht", sagt Wilking. „Der meint: Das ist ja so, als müssten alle das Auto stehen lassen und wieder Fahrrad fahren." Da ist was dran.

 

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